Schwarzwälder Schneepionierinnen

Der Schwarzwald gilt als Wiege des mitteleuropäischen Skisports und die Bretter waren von Anfang an auch Frauensache - auf und abseits der Pisten.

von Agathe Paglia

Wer sich mit der Skihistorie des Schwarzwalds beschäftigt, stößt auf zahlreiche Novitäten, Premieren und Superlativen. In Todtnau wird Ende 1891 der erste deutsche Skiklub gegründet. 1898 findet am Feldberg der erste Damenwettlauf statt. In Bernau werden ab 1906 Skier in Serie gefertigt und 1908 geht in Schollach der weltweit erste Skilift in Betrieb. Das klingt nach innovativem Schwarzwald pur.

Dabei hat alles mit einem Franzosen begonnen. Genauer gesagt mit dem Diplomaten, Globetrotter und Abenteurer Robert Pilet. Am Fastnachtssonntag anno 1891 stapft er zur Erheiterung vieler Passanten auf spitz zugebogenen Holzbrettern vom Bahnhof in Titisee aus durch meterhohen Schnee auf den 1.493 Meter hohen Feldberg. Die Gipfelbesteigung trägt er in das Gästebuch des Feldberger Hofs ein: „Mit norwegischen Schneeschuhen auf dem Feldberg.“ Fanny Mayer, später bekannt als Feldbergmutter, lacht nicht, sie wird neugierig.

Gemeinsam mit ihrem Bruder Carl führt sie damals das Hotel. Zehn Jahre zuvor hatte sie sich selbst noch in Kleid und Schnürschuhen durch die weiße Winterwelt auf den Feldberg gequält, um dem Bruder zur Hilfe zu eilen. Dessen Frau stirbt im Wochenbett. Fanny bleibt, kümmert sich um mutterlosen Sohn wie Vater und das gepachtete Gasthaus, das im Winter von der Welt geradezu abgetrennt scheint. Das ändert sich mit Pilets Skitour. Denn in den darauffolgenden Monaten entdecken immer mehr Wintertouristen den Feldberg. Fanny erkennt das Potenzial der sonderbaren Schneeschuhe und expandiert. Bereits 1894 bietet der Feldberger Hof 70 Betten in 40 Zimmern, später auch Skiausrüstungen und Skikurse. Schon 1910 sollten es 300 Betten sein und der Feldberger Hof der Nabel des Skisport-Mekkas Schwarzwald.

Mit Rock und Hut auf die Piste

Nicht nur Fanny, viele Frauen begeistern sich von Beginn an für den Skisport im Schwarzwald. Und anders als in anderen Sportarten sind sie nicht nur als Zuschauende, sondern als Aktive willkommen. Zwei Jahre nach seiner Gründung 1895 sind zehn Prozent der Mitglieder des Ski-Clubs Freiburg weiblich. Vermutlich dank eines Passus in seiner Satzung, der Damen den Eintritt „aufs Bereitwilligste gestattet, sogar ist derselbe sehr erwünscht“. Bereits 1898 wird das erste Damenskirennen auf dem Feldberg veranstaltet. Weitere folgen, auch auf dem Schauinsland. Allerdings nur auf mäßig steilem Gelände. Die Herren sind sich uneins, welches Gefälle Damen zugemutet werden könne.

Röcke und Hüte machen den ersten Skirennläuferinnen das Leben schwer. Von Freizeit- oder Sportkleidung bestehend aus Keilhose und Wollmütze ist man zu jener Zeit noch weit entfernt. Genau wie von Skischuhen mit eckiger Kuppe und Fersen-Rille samt Bindungsbacken. Stattdessen werden Alltagsschuhe mit Lederriemen fixiert. Ein Stecken schenkt dem Rumpf Stabilität. Später sind es zwei, mit Schlaufen und breiten Tellern. Dennoch bleibt Skifahren auf den damals unpräparierten Hängen eine höchst wackelige Angelegenheit. Außerdem eine schweißtreibende, denn um abzufahren, muss man zunächst nach oben steigen.

Auf Skiern zur Geburtshilfe

Die Bretter sind nicht nur das Sportgerät der Wintergäste. Auch im Alltag der Schwarzwälder kommen sie zum Einsatz. Schneepflüge gibt es nicht. Wer im Winter schnell vorankommen muss, ist auf Brettern unterwegs. Darunter Mädchen und Jungen auf dem Schulweg, auch der Briefträger, Förster, Landarzt und die Hebammen. Sie alle queren Bergbäche, fahren durchs Unterholz oder auf tollkühnen Abfahrten zu den entlegensten Bergbauernhöfen.

Ihre Skier stammen zumeist aus der Werkstatt von Karl Köpfer. Das erste Paar fertigt der gelernte Schnefler 1892 aufgrund der Beschreibung seines Sohnes Ernst, der auf dem Heimweg von der Schule die Bretter norwegischer Skifahrer studiert hat. Gemeinsam tüfteln sie an Form und Material. Esche macht das Rennen. Sie schneiden die Bretter zu, weichen sie in Wasser ein, rösten sie im Ofen und biegen sie zuletzt über einem Wagenrad. Ab 1906 produziert Köpfer nicht mehr individuell. Seine Werkstatt in Bernau wird eine Fabrik. Köpfer baut in Serie.

Ob Christl Cranz auf Skiern seiner Marke Feldberg ihre ersten Schwünge gelernt hat, ist nicht bekannt. Lediglich, dass ihre resolute Mutter es satthatte, in den harten Wintern auf der Schwäbischen Alb durch den Schnee zu stapfen. Jene hört von den praktischen Skiern, mit denen man über Schnee gleiten kann, und kauft kurz entschlossen drei Paar. So lernt Christl als Sechsjährige das Skifahren auf Brettern, die doppelt so lang sind wie sie selbst. Früh gewinnt die spätere Olympiasiegerin und Weltmeisterin sämtliche Schulmeisterschaften – ob im Schweizerischen Grindelwald, in das die Familie zunächst von Reutlingen aus übersiedelt, oder im späteren Wohnort Freiburg.

Dort lebt Christl mit Eltern und Bruder Rudi ab ihrem dreizehnten Lebensjahr. Das ungestüme Mädchen fällt Eugen Winterhalter vom Ski-Club Freiburg auf. Er trainiert es. Der Rest ist Geschichte, eine Erfolgsgeschichte. 1931, mit siebzehn Jahren, gewinnt Cranz das internationale Abfahrtsrennen vom Herzogenhorn nach Menzenschwand. Ein Jahr später wird sie erstmals Deutsche Meisterin. Sie erringt zwölf Weltmeistertitel und gewinnt bei den Olympischen Spielen 1936 Gold. Christl Cranz ist die dominierende Skirennläuferin der 1930er-Jahre.

Diese Reportage stammt aus unserem Magazin "Erleben - Touren. Natur. Genuss". Hier gibt es jede Menge Tipps und Geschichten rund um Wintersport, Genuss und mehr.

 

 

Infos

Wie alles begann

Über die Anfänge des Wintersports informiert das Schwarzwälder Skimuseum. Es wurde im mehr als 300 Jahre alten Bauerngehöft Hugenhof in Hinterzarten eingerichtet. Historische Fotografien und Winterbekleidung von damals veranschaulichen, wie die Menschen Ende des 19. Jahrhunderts am Feldberg gelebt haben. Hin und wieder begegnen Besucher Georg Thoma, Olympiasieger und Weltmeister in der Nordischen Kombination. Der gebürtige Hinterzartener ist Initiator des Museums. Regelmäßig führt er Gäste durch das Museum, das in einer Sonderschau auch seine sportlichen Erfolge würdigt. Mehr dazu unter: www.schwarzwaelder-skimuseum.de  

Skigebiet

Mehr als 100 Berge und Gipfel ragen in Deutschlands höchstem Mittelgebirge zwischen 1.000 und 1.493 Metern auf. Bestes Terrain für Langlauf-Loipen, Schneeschuh-Trails, Winterwanderungen oder Abfahrt- und Tourenskifahrer. Der Feldberg ist das älteste Skigebiet im Schwarzwald. Mit fünf Sesselbahnen, neun Schleppliften und 16 Skipisten mit 30 Kilometer Pistenlänge ist es auch das größte. Mit einem Skipass können Wintersportler insgesamt 58 Lifte in 26 Gebieten rund um den Feldberg nutzen. www.feldberg-erlebnis.de